§ 60 Rechtserzeugung im Stufenbau

I. Der Stufenbau als Hierarchie von Ermächtigungsnormen

Texte: Rudolf Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 1894, 107 ff., Bd. 2, 1898, 117 ff.; Adolf Julius Merkl, Lehre von der Rechtskraft, 1923, 181 ff.; ders., Das doppelte Rechtsantlitz [Juristische Blätter 42, 1918 425] in: Merkl, Gesammelte Schriften, 1993, Bd. I, 1, S. 227-252; ders., Prolegomena zu einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus (1931), ebd. S. 437-492; Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, 228 ff..

Literatur: Jürgen Behrend, Untersuchungen zur Stufenbaulehre Adolf Merkls und Hans Kelsens, 1977; Ernst Clemens Jabloner u. a. (Hg.), Der Stufenbau des Rechts auf dem Prüfstand, 2022; Martin Borowski, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts nach Adolf Julius Merkl, in: Stanley L. Paulson/Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, 122-159; András Jakab, Probleme der Stufenbaulehre, ARSP 91, 2005, 333-365; Theo Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheoretische und ideologische Aspekte, 1975; Stanley L. Paulson, Zur Stufenbaulehre Merkls in ihrer Bedeutung für die Allgemeine Rechtslehre, in: Robert Walter (Hg.), Adolf J. Merkl. Werk und Wirksamkeit, 1990; Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994; Alfred Verdroß, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf der Grundlage der Völkerrechtsverfassung, 1923; Rainer Wahl, Der Vorrang der Verfassung und die Selbständigkeit des Gesetzesrechts, NVwZ 1984, 401-409.

Während die philosophischen Theorien der Rechtsgeltung mehr oder weniger pauschal die Geltung eines Rechtssystems begründen, stellt die Stufenbaulehre die Verbindung von einem abstrakten Ausgangspunkt zu konkreten Rechtsnormen her. Sie schafft damit die Verbindung zur Rechtsquellenlehre. Der Stufenbau begründet ein kohärentes, hierarchisches Rechtssystem. Doch dieses System beruht letztlich nicht auf Logik, sondern auf einem Werturteil. Deshalb hat die Praxis immer wieder damit zu tun, dass Normen, die als Rechtsnormen angeboten werden, sich nicht in den Stufenbau fügen. Dann bleibt von der rechtstheoretischen Ausgangsposition die Forderung, Widersprüche zu vermeiden und eine einheitliche, kohärente Rechtsordnung herzustellen.

Recht ist nicht gleich Recht. Nicht alles Recht hat den gleichen Rang. Deshalb kann man von einem Stufenbau der Rechtsordnung sprechen.

II. Die Grundnorm im Bundesstaat

III. Rechtsschöpfung im Stufenbau

IV. Kritik der Stufenbaulehre durch Netzwerk- und Systemtheorie

1.          Das Netzwerk als Alternative

Ganz unabhängig von der Globalisierung (dazu § XXX) wird gefordert, das hierarchische Stufenbaukonzept zugunsten eines heterarchischen Netzwerkmodells aufzugeben.

»Gegen die staatsfixierte Verengung des Geltungsproblems ist daher die These in Anschlag zu bringen, dass Rechtsgeltung nur in der Praxis einer Vielfalt operierender Rechtsordnungen selbst erzeugt werden kann.« Deshalb komme es »für die Zukunft darauf an, die Rechtsquellenlehre auf die neuartige Operationsweise eines dynamisch und nachbarschaftlich operierenden Rechtssystems einzustellen« (Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 184).

Die These von der Netzwerkgesellschaft geht von einem ungeklärten Netzwerkbegriff aus. Sie schwankt zwischen empirischen Behauptungen und normativen Forderungen und kann für das Problem der Rechtsgeltung keine konstruktive Lösung vorweisen. Was als pluralistisches Recht angeboten wird, ist kein Netz, sondern eine ungeordnete Heterarchie oder vielmehr ein schlichtes Nebeneinander.

Das Netzwerkargument beruht zum Teil auf einer verfehlten Luhmann-Rezeption. Als beobachtender Rechtssoziologe hatte Luhmann die Rechtsgeltung als einen Prozess beschrieben, indem das Geltungssymbol von Rechtskommunikation zu Rechtskommunikation weitergereicht (und dabei bestätigt, verstärkt, geschwächt, verändert oder geleugnet) wird:

»Geltung ist ein von Moment zu Moment neu zu erarbeitendes Produkt des Systems. Sie ist deshalb nur durch rekursive Vernetzung der Operationen mit möglichst geringem Informationsaufwand (Redundanz) zu sichern.« (RdG S. 110)

Die juristische Rechtsquellenlehre ist jedoch eine innerjuristische Theorie, der Luhmann innerhalb der von ihr selbst gezogenen Grenzen kognitives und wertendes Vorgehen zubilligt. Ergebnis ist die systematische und hierarchische Ordnung des Normmaterials.

Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Netzwerkargument sei verwiesen auf Klaus F. Röhl, Die Rechtstheorie ist schlecht vernetzt, in: FS Werner Krawietz, 2013, 537-565.

Von der theoretischen Analyse des Rechts als Netzwerk ist die empirische Analyse der Beziehungen zwischen Rechtssubjekten, Rechtsobjekten sowie von Elementen in Rechtstexten durch Netzwerkforschung zu unterscheiden. Dazu hat Corinna Coupette ein ausgezeichnetes Buch vorgelegt (Juristische Netzwerkforschung. Modellierung, Quantifizierung und Visualisierung relationaler Daten im Recht, 2019; rezensiert von Moritz Renner, AcP 221, 2021, 923–928).

V. Der Stufenbau gegenüber Globalisierung und Pluralisierung