§ 55 Feministischer Gerechtigkeitsdiskurs

I. Theoretische Grundpositionen des Feminismus

Literatur: Wendy Brown, Finding the Man in the State, Feministische Studien 18, 1992, 7-34; dies., Die Paradoxien der Rechte, in: Christoph Menke/Francesca Raimondi (Hg.), Die Revolution der Menschenrechte, 2011, 454-473; Myra Marx Ferree, Feminismen. Die deutsche Frauenbewegung in globaler Perspektive, 2018; Elisabeth Holzleithner, Recht Macht Geschlecht. Legal Gender Studies, 2. Aufl. 2011; Annegret Künzel, Feministische Theorien und Debatten, in: Lena Foljanty/Ulrike Lembke (Hg.), Feministische Rechtswissenschaft, 2. Aufl, 2012, 52-73; Martina Löw/Bettina Mathes (Hg.), Schlüsselwerke der Geschlechterforschung, 2005; Judith Lorber, The Variety of Feminisms and their Contributions to Gender Equality, 1997; Sylvia Marlene Wilz, Geschlechterdifferenzen – Geschlechterdifferenzierungen. Einführung in die Grundlagen der Frauen- und Geschlechterforschung, 2008; Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geschlechterforschung in Deutschland, 2023.

1. Von der Frauenbewegung zur Geschlechterforschung
2. Kultureller Feminismus (Genderismus)
3. Differenzfeminismus
4. Emanzipatorischer Feminismus

Für ausführlichere Darstellung der Thematik mit weiteren Literaturhinweisen Klaus F. Röhl, Feminismus, Gender Studies und Rechtsentwicklung: Geschlechterforschung als Interessentenwissenschaft, 2020, SSRN 3665173. 
Ferner: Rechtssoziologie-online § 59 »Geschlecht und Recht«

II. Feministische Rechtswissenschaft

III. Geschlecht als Dimension sozialer Ungleichheit1.

1. Rechtliche Gleichstellung
2. Wirtschaftliche Gleichstellung
3. Frauen in juristischen Berufen
4. Frauen in Führungspositionen
5. Mehrfachbenachteiligung (Intersektionalität)

IV. Gleichheit oder Differenz?

V. Sexuelle Gewalt

VI. Perspektivismus und gesellschaftskritischer Feminismus

VII. Sprache und Geschlecht

Literatur: Michael Grünberger, Das »generische Maskulinum« vor Gericht, JZ 2018, 719-727; Philipp Kowalski, Geschlechtergerechte Sprache im Spannungsfeld mit rechtswissenschaftlicher Methodik, NJW 2020, 229-2233; Damaris Nübling/Helga Kotthoff, Genderlinguistik, 2018; Ulrike Spangenberg, Alltag oder Diskriminierung? Das generische Maskulinum in Formularen und Vordrucken von Sparkassen, KJ 51, 2018, 345-354; Lisa Irmen/Ute Linner, Die Repräsentation generisch maskuliner Personenbezeichnungen, Zeitschrift für Psychologie/Journal of Psychology 213, 2005, 167-175 (Übersicht über einschlägige Untersuchungen); Ingo von Münch, Gendersprache: Kampf oder Krampf?, 2023.

Die juristische Tradition lässt Problembewusstsein erkennen. Im Corpus Iuris Civilis Justinians (Dig. L, 16, 1) ist zu lesen: »Verbum hoc ›si quis‹ tam masculos quam feminas complectitur.« (Wenn es heißt »wer«, sind Männer und Frauen gemeint.) Heute ist die Forderung nach geschlechtergerechter Sprache zum Rechtsfall geworden.

Die Klägerin war Kundin der beklagten Sparkasse. Diese verwendete in ihren Formularen und Vordrucken nur das generische Maskulinum. Daher verlangte die Klägerin von der Beklagten, in ihren Formularen auch die weibliche Form (»Kontoinhaberin«) vorzusehen. Der BGH billigte die Klagabweisung, mit der wenig überzeugenden Begründung, der Gesetzgeber verwende durchgehend das generische Maskulinum. Sein Sprachgebrauch sei zugleich prägend für den allgemeinen Sprachgebrauch und das Sprachverständnis (BGHZ 218, 96). Das kritisieren Grünberger und Spangenberg. Grünberger zeigt aber auch, wie sich das generische Maskulinum gleichheitsrechtlich legitimieren lässt.

Das Gendermainstreaming hat die Forderung nach einer »geschlechtergerechten« Sprache in Universitäten und Medien, Behörden und Unternehmen zur »Wahrheit« gemacht, die in wissenschaftlicher Literatur, Rechtsvorschriften und Leitfäden festgeschrieben ist und von einem Panoptikum aus Behörden, Beauftragten und Betroffenen überwacht wird. Das BundesgleichstellungsG bestimmt in § 4 III, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sowie im dienstlichen Schriftverkehr auch sprachlich zum Ausdruck gebracht werden soll. An dieser »Wahrheit« prallen alle Argumente ab. Wir beschränken uns daher auf Stichworte.

  • Jacob Grimm meinte, das genus habe sich historisch als Bezeichnungsform des sexus Damit stieß er schon bei Zeitgenossen auf Widerspruch. Aber darauf kommt es letztlich nicht an. Der Rhein ist nicht männlicher als die Donau. Niemand hält Mädchen oder Weiber für geschlechtslos.
  • Alle drei grammatischen Geschlechter werden generisch verwendet. Wenn von Personen oder Arbeitskräften die Rede ist, zweifelt niemand, dass auch Männer gemeint sind. Das Mitglied kann männlich oder weiblich sein.
  • Studien, die zeigen, dass das generische Maskulinum Frauen weniger sichtbar erscheinen lässt als Männer, reproduzieren nur den Zustand der Gesellschaft vor zwanzig Jahren. Tatsächlich waren Frauen in den Positionen, nach denen in diesen Studien gefragt wurde, bisher weniger repräsentiert als Männer.
  • Auch sonst ist die empirische Basis schwach (Kowalski), nicht zuletzt, weil es sich um Interessent*innen-Forschung handelt.
  • Die Forderung nach einer durchgehenden Beidnennung der Geschlechter führt erst den Zustand herbei, den sie bekämpfen will, dass nämlich im Umkehrschluss Frauen als ausgeschlossen erscheinen, wo sie nicht ausdrücklich genannt werden.
  • Die Forderung wird nicht konsequent durchgehalten, denn sie gilt nur für positiv belegte Positionen. Die negativ belegten Rollen bleiben männlich.
  • Das Gendern sexualisiert die Sprache. Die Menschen werden auf ihre Geschlechtsrollen reduziert.
  • Die Sprache selbst stürzt die Forderung nach geschlechtersensiblem Ausdruck in ein Dilemma, wenn die weiblichen Funktionsbezeichnungen mit Hilfe der Nachsilbe »in« von der männlichen Grundform abgeleitet werden. So erscheinen die Bürgerin, die Professorin oder die Ministerin letztlich doch als etwas Sekundäres.
  • Die Verdrängung des grammatischen Geschlechts zugunsten femininer Bezeichnungen befestigt –mit oder ohne Gendersternchen – die »heterosexuelle Matrix« und schafft damit neue Diskriminierungen für Personen, die sich einem dritten Geschlecht zurechnen.
  • Der praktischen Umsetzung stehen nicht nur die Macht der Gewohnheit und sprachästhetische Gesichtspunkte (die ihrerseits wiederum durch Gewohnheit geprägt sind) entgegen. Wir wollen keine Sprache schreiben, die wir nicht sprechen können. Die Verwendung des Partizips für eine geschlechtsneutrale Benennung (»Studierende«) ist ein Missbrauch grammatischer Kategorien.
  • Das sprachliche Gendering bleibt in vielen Situationen eine Lachnummer und weckt unnötigen Widerstand.

Wo konkret Lebenschancen verteilt werden, etwa in Stellenanzeigen, ist das Gendering mit gutem Grund gesetzlich festgeschrieben. Bei der direkten Anrede ist die Nennung beider Geschlechter eine selbstverständliche Höflichkeit. Zur Höflichkeit gehört es dann auch, dass Bürger-»innen« nicht verschluckt werden. Wo jemand seine Gesinnung zeigen will, hat es seine Opportunität. Die Rechtssprache braucht auf das generische Maskulinum nicht zu verzichten. Im Gegenteil, sie sollte mit seiner Verwendung zum Vorreiter werden für das, was vermisst wird: »ein tatsächlich inkludierender Begriff« (Grünberger).

Grünberger selbst liefert allerdings eher eine Karikatur, wenn er (zusammen mit Reinelt) den Genderstern verwendet (Grünberger/Reinelt, Konfliktlinien im Nichtdiskriminierungsrecht, 2020). Das führt zu so wunderlichen und inkonsequenten Überschriften wie: »Ein »Sonderopfer« der Normadressat*in? Arbeitgeber*in als »Strukturbrecher«.

Das Beste aus juristischer Perspektive zum Thema hat bisher Kowalski geschrieben: Geschlechtergerechte Sprache im Spannungsfeld mit rechtswissenschaftlicher Methodik, NJW 2020, 229-2233. Im Gegensatz zu den Apostel*innen des sprachlichen Gendering argumentiert er dabei wirklich interdisziplinär.

VIII. Geschlechtliche Orientierung

IX. Reproduktive Rechte