§ 19 Postmoderne Epistemologie

I.  Epistemologie als Grundlage der Rechtstheorie

Es liegt auf der Hand, dass der harte Wahrheitsbegriff der empirischen Wissenschaften für die Jurisprudenz nicht passt. Dennoch möchten Juristen für ihre Aussagen über Recht und Gerechtigkeit Wissenschaftlichkeit in Anspruch nehmen. Da die Gleichstellung der Rechtswissenschaft mit Naturwissenschaften und empirisch orientierter Sozialwissenschaft auf der Basis des wissenschaftlichen Positivismus nicht gelingen will, liegt der Versuch nahe, eben diese Basis zu erschüttern in der Hoffnung auf eine weiche Epistemologie, die auch für die Rechtswissenschaft taugt.

Zur Begriffsverwendung: Zwischen Epistemologie bzw. epistemologisch einerseits und Episteme und epistemisch andererseits ist zu unterscheiden. Epistemologie bedeutet soviel wie Wissenschaftstheorie, Episteme dagegen Wissen. In der Postmoderne ist damit oft speziell das Hintergrundwissen (Tiefenstrukturen des Wissens) gemeint.

Allerdings war es keineswegs die Intention des Postmodernismus, der Jurisprudenz zu einer epistemologischen Legitimation zu verhelfen. Das Gegenteil ist der Fall, nämlich die Absicht, der Rechtswissenschaft auch noch ihr Selbstverständnis als Geisteswissenschaft wegzuschlagen. Eine treibende Rolle spielte dabei der queertheoretische Feminismus, der auf epistemologischer Ebene die empirische Differenz der Geschlechter auszuhebeln versucht.

Der Postmodernismus hatte seinen Höhepunkt in den 1990er Jahren. Zwar fand die postmoderne Epistemologie in der Normalwissenschaft nicht viele Anhänger. Umso mehr haben sich Literaturwissenschaftler und Linguisten, Soziologen und Ethnologen sowie das mediale Feuilleton auf das damals neue Angebot geworfen, es popularisiert, instrumentalisiert und politisiert. Der Wertrelativismus, der den Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt hatte, wurde gegen Ende des Jahrhunderts durch einen Faktenrelativismus abgelöst.

In letzter Zeit bahnt sich eine Konvergenz von Postmodernismus, kritischer Philosophie in der Tradition der Frankfurter Schule und Luhmannscher Systemtheorie an. Ihren Ausdruck findet diese Entwicklung u. a. in einem Sammelband »Kritische Systemtheorie« (2013) oder in der »Kritik der Rechte« von Christoph Menke (2015). Aktuell spürt man die Nachwehen in der critical race thory und den postcolonial studies.

In Deutschland ist postmoderne Rechtstheorie von einer Version der System­theorie geprägt, die besonders von der Teubner-Schule gepflegt wird. Sie beschreibt die Gesellschaft als in verschiedene Subsysteme »fragmentiert«. Die Subsysteme führen jeweils ihre eigenen Diskurse und sind gegenüber ihrer Umwelt geschlossen. Daraus ergeben sich »miteinander kollidierende Systemrationalitäten«. Die Systeme können nicht gezielt aufeinander einwirken, sondern sich nur wechselseitig beobachten und irritieren. Mit den Dekonstruktivisten teilt diese Schule ihre Vorliebe für Paradoxien.

II.  Grundpositionen postmoderner Rechtstheorie

Die Grundpositionen postmoderner Rechtstheorie sind als solche nicht wirklich neu. Neu sind aber ihre Radikalität und ihre Einbettung in einen rechtsexternen philosophi­schen Diskurs. Die Positionen lassen sich unter zehn Gesichtspunkten zusammenfassen:

  • Recht ist weder objektiv noch neutral .
  • Recht ist unbestimmt.
  • Recht ist kontingent.
  • Recht ist inkohärent.
  • Recht ist pluralistisch.
  • Recht und Rechtsanwendung sind identisch.
  • Recht ist Macht.
  • Recht ist politisch.
  • Recht ist gewalttätig.
  • Recht ist paradox ( § 21 IIxx).

III. Erkenntnistheoretischer, kulturalistischer und Sozialkonstruktivismus
IV.  Poststrukturalismus, Pansymbolismus und Interpretationsimperativ
V.  Soziologie, Kulturwissenschaften und Cultural Studies
VI.  Postmoderner Wahrheitsbegriff