§ 113 Die juristische Methode als Fortsetzung der Rechtsquellenlehre

Als Preprint hier zunächst eine neue Einleitung. Im Übrigen verweisen wir vorläufig auf dier einschlägigen Artikel in der Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie der IVR.

Einleitung: Theorie und Methode

Literatur: Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts Bd. IV, 1977; Hans-Peter Haferkamp, Zur Methodengeschichte unter dem BGB in fünf Systemen, AcP 214, 2014, 60-92; Adalbert Podlech, Rechtstheoretische Bedingungen einer Methodenlehre juristischer Dogmatik, JbRSoz 2, 1972, 491-502; Michael Stolleis, Der Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre – ein abgeschlossenes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte?, 2001; Eberhard Schmidt-Aßmann u. a. (Hg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, darin S. 9-72 Wolfgang Hoffmann-Riem, Methoden einer anwendungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft; Karl-Heinz Ladeur, Die rechtswissenschaftliche Methodendiskussion und die Bewältigung des gesellschaftlichen Wandels, RabelsZ 64, 2000, 60-103; Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der der Gesellschaft, 1992, S. 413ff; Klaus F. Röhl, Grundlagen der Methodenlehre I u. II, 2013, in: EzR; Joachim Rückert/Ralf Seinecke (Hg.), Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, 3. Aufl. 2017; Jan Schröder, Theorie der Gesetzesinterpretation im frühen 20. Jahrhundert, 2011 (spannend und in seiner Kürze meisterhaft); Rainer Schröder, Die deutsche Methodendiskussion um die Jahrhundertwende, RTh 19, 1988, 323-367.

Die Debatte um die Methoden der juristischen Argumentation und Interpretation zeigt deutliche Konjunkturen. Eine große Welle gab es um die Wende zum 20. Jahrhundert. Jan Schröder hat auf die Gleichzeitigkeit mit Freirechtsschule und Interessenjurisprudenz, sich for­mie­render Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung hingewiesen. Letzlich erklärt er die Debatte als Begleiterscheinung eines Funktionswandels von Recht und Justiz. 100 Jahre später kam eine zweite große Welle der Methodendebatte ins Rollen. Am Anfang entwickelte sie sich im Gleichklang mit kritischer Theorie und den Critical Legal Studies, sodann mit postmoderner Epistemologie, und begleitet wurde sie von dem Ruf nach Interdisziplinarität und Anpassung an das Phänomen des innerstaatlichen und transnationalen Rechtspluralismus. Dazwischen lag das tiefe Tal totalitärer Finsternis. Längst sind die Wellen der Methoden­diskussion zum Thema rechtshistorischer Reflexion geworden. Stets ging es um das Verhältnis von Gesetzesbindung und Richtermacht, um ein statisches oder dynamisches Rechts­verständnis.

Der Methodenbegriff ist der unterhalb der Theorie angesiedelt. Mit Podlech (1972, 492) kann man sagen, eine Methode sei »nur eine geordnete Klasse von Verhaltensanordnungen (Operationen) zum Zwecke von Problemlösungen. Methoden sind nicht wahr oder falsch, sondern fruchtbar oder unfruchtbar«. Das entspricht dem Methodenbegriff, wie er in der empirischen Sozialforschung üblich ist. Dieser engere Methodenbegriff deckt die Aufgaben­stellung der juristischen Methodenlehre. Sie versteht sich als Anleitung zur Beant­wor­tung konkreter Rechtsfragen. Das hat zur Folge, dass die Methodenlehre vom geltenden Recht und damit von der Rechtsquellenlehre abhängig ist. Da letztere auf schriftlich fixierte Rechtsquellen baut, liegt der Schwerpunkt der Methodenlehre auf der Textinterpretation.

Für Verwirrung sorgen Müller/Christensen durch den Begriff »Methodik«, den sie als »Oberbegriff für ›Hermeneutik‹, ›Interpretation‹, ›Auslegungsmethoden‹ und ›Methodenlehre‹ « verstanden wissen wollen (Juristische Methodik, Rn 7, in der 10. Aufl. S. 37). Ganz und gar überflüssig ist die Rede von einer Methodologie.

In der Rechtswissenschaft wird allerdings nicht immer in diesem Sinne zwischen Theorie und Methode unterschieden. Die Theoriedebatte im öffentlichen Recht läuft weithin unter dem Titel Methodendiskussion (Stolleis; Schmidt-Aßmann u. a.). Umgekehrt ordnet etwa Fikentscher (S. 125, 664ff) die Methode der Rechtsanwendung ausdrücklich der Rechtstheorie zu und stellt sie dort neben die Rechtsphilosophie, ähnlich Hoffmann-Riem S. 14ff. Wir ziehen es vor, mit der Unterscheidung von Theorie und Methode zu arbeiten. Zwar bleibt die Methode der Rechtsfindung immer theoriegeleitet. Aber die Methode verfügt auch über einen Bestand von relativ theorieunabhängigen Begriffen und Operationen.

Hinter der verbreiteten Methodenkritik verbergen sich vielfach rechtstheoretische Kontroversen, sozusagen ein »Methodenstreit« der Rechtstheorie. Das dokumentiert der Sammelband von Rückert und Seinecke.

Wenn man so will, ist die gesamte Rechtstheorie unter Einschluss unserer Allgemeinen Rechtslehre eine Auseinandersetzung mit der Frage,  wie Rechtsfragen auf wissenschaftlicher Grundlage beantwortet werden können. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, in diesem Kapitel die rechtstheoretische Methodenkritik zu wiederholen. Für eine fokussierte Zusammenfassung verweisen wir auf die Darstellung von K. F. Röhl in der EzR.

Rechtstheoretische Kontroversen können aber nicht in der Methodenlehre ausgetragen werden, wenn die Praxis handlungsfähig bleiben soll. Die Methodenlehre darf sich zwar gegenüber neuen rechtstheoretischen Entwicklungen nicht unempfindlich zeigen, muss aber nicht jeder Wendung der Rechtstheorie folgen, sondern kann aus einer gewissen Distanz abwarten, bis sich neue theoretische Standards entwickeln.

Mit der Methodenlehre gibt die Rechtwissenschaft sich selbst eine Anleitung Beantwor­tung konkreter Rechtsfragen oder zur Entscheidung einzelner Rechtsfälle. Die Methodenlehre ist gleichzeitig eine Brücke zur Praxis. Die nicht selten zu hörende Kritik, die juristische Methodenlehre sei zu eng, weil sie sich auf die Anleitung zur Fallent­scheidungs­praxis konzentriere, geht deshalb fehl. Im Zusammenhang mit der juristischen Ausbildung wird oft gefordert, es müsse auch die gestaltende Tätigkeit von Juristen berücksichtigt werden. Das mag per se sinnvoll sein, verlangt aber nicht, dass der auf Entscheidungsfindung ausgerichtete Begriff der Methodenlehre erweitert wird.

Im Mittelpunkt der Methodenlehre stehen Anleitungen zur Textauslegung, der so genannte Kanon der Auslegungsmethoden. Es wäre aber zu eng, die Methodenlehre auf die Textinterpretation einzuschränken, denn ein Grundproblem der Methodenlehre besteht gerade darin, dass nicht selten die Interpretation von Texten zu keinem Ergebnis führt. Auch solche Fälle muss die Methodenlehre bedenken. Daher ist die juristische Methodenlehre eine Lehre von der Rechtsgewinnung de lege lata.

Bemerkenswert ist die lange Reihe von Lehr- und Lernbüchern zur Methodenlehre.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: Guy Beaucamp/Lutz Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, 2. Aufl. 2011; Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991; ders., Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005; Claus-Wilhelm Canaris/Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtwissenschaft, 4. Aufl. 2006; Helmut Coing, Juristische Methodenlehre, 1972; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991; Hans Joachim Koch/Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl. 2010; Dirk Looschelders/Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 1996; Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis, 10. Aufl. 2009; Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999; Franz Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019; Jan Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre, 1983; ders., Methodenlehre des Zivilrechts, 1998; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 4. Aufl. 1998; Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 4. Aufl. 2008; ders., Juristische Mehodenlehre 2020; Mike Wienbracke, Juristische Methodenlehre, 2013; Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl. 2006.

Die Lehrbücher, zusammen mit vielen Aufsätzen in den Ausbildungszeitschriften und selbständigen Kapiteln in Einführungen in das juristische Studium, zeigen das große Bedürfnis nach Reflexion und Vergewisserung für einen zentralen praxiszugewandten Bereich der juristischen Arbeit und zugleich Vertrauen in die Lehr- und Lernbarkeit der juristischen Methode.