I. Grundbegriffe als Orientierungs- und Diskursrahmen
In diesem Kapitel erörtern wir, wie in § 10 angekündigt, einige Begriffe, die als juristische Grundbegriffe gelten können. Grundbegriffe sind Begriffe, die innerhalb eines Fachgebiets und darüber hinaus elementare Ausgangspunkte des Denkens, Erkennens oder Argumentierens darstellen. Sie werden als solche nicht definiert oder durch andere Begriffe erklärt, sondern durch ihre Verwendung verstanden. Damit bilden sie eine Grundlage, auf der differenzierte Begriffe und Theorien aufbauen.
Grundbegriffe verhelfen zu einer thematischen Orientierung. »Klimawandel« ruft eine völlig andere Gedankenwelt auf als »Delikt«. Während der erste Begriff Assoziationen zu Umwelt, globaler Erwärmung und nachhaltigem Handeln weckt, führt der zweite in den Bereich von Recht, Kriminalität und sozialer Ordnung. Grundbegriffe sind für den Diskurs unverzichtbar. Sie bieten einen epistemischen Rahmen, für das, was denkbar und sagbar ist. Grundbegriffe machen eine differenzierte Argumentation verstehbar und anschlussfähig. Obwohl die Grundbegriffe bei ihrer fachlichen Verwendung ständig neu interpretiert und mit Inhalt gefüllt werden, bleiben sie doch als solche relativ stabil.
Was in einer Wissenschaft als Grundbegriff gilt, hängt vom jeweiligen Fach ab. Aber auch fachspezifische Grundbegriffe werden regelmäßig mit Wörtern der Alltagssprache benannt und mobilisieren damit auch außerhalb des Faches Verständnisleistungen. Das gilt für juristische Grundbegriffe um so mehr, weil sie nicht von vornherein als deskriptiv oder normativ erkennbar sind, was sich darin zeigt, dass sie sich mit Begriffen der empirischen Soziologie überschneiden. Daher werden viele Grundbegriffe auch als Brücken- oder Schlüsselbegriffe in Anspruch genommen.
Innerhalb der Fachgebiete gibt es immer wieder Versuche, Grundbegriffe zu präzisieren oder ar zu axiomatisieren. Prominentes Beispiel sind die »Soziologischen Grundbegriffe« von Max Weber. In 17 Paragrafen von »Wirtschaft und Gesellschaft« (1922) werden soziologische Begriffe wie »soziales Handeln«, »Macht« und »Herrschaft« in einer Weise definiert, auf die man bis heute immer wieder zurückkommt. Soziologie stellt als empirische Wissenschaft an die facheigene Begrifflichkeit hohe Ansprüche. Das hindert nicht, dass soziologische Grund- oder Schlüsselbegriffe wie System, Klasse, Rolle oder Sozialstruktur sich innerfachlich wandeln und überfachlich weithin undefiniert Verwendung finden.