I. Organisationen
Literatur: James S. Coleman, The Asymmetric Society, 1982; Maja Apelt u. a. (Hg.), Handbuch Organisationssoziologie, 2019; Philipp Jakobs, Max Weber und die Organisationssoziologie, 2021.
Organisationen bilden ein zentrales juristisches Thema, aber die Organisation ist kein Rechsbegriff. Der Staat mit seinen Untergliederungen, Gesellschaften, Betriebe, Unternehmen oder Konzerne beschäftigen ganze Teildisziplinen der Rechtswissenschaft. Doch alle Bemühungen um eine rechtliche Regelung der inneren Ordnung und der äußeren Beziehungen dieser Gebilde haben die individualistische Grundkonzeption des Rechts weithin unberührt gelassen. Die große Masse der Organisationen wird als juristische Person auf dieselbe Ebene gestellt wie der einzelne Mensch als Träger von Rechten und Pflichten. Die dogmatische Anstrengung richtete sich lange Zeit darauf, diese Gleichstellung zu begründen. Das gilt selbst für Otto von Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, die zwar die soziologische Besonderheit von Organisationen zum Ausdruck bringt, aber letztlich doch nur dazu dient, die Handlungs- und Willensbildungsfähigkeit des Verbandes zu erklären, um ihn über die Anerkennung der Rechtsfähigkeit wie ein menschliches Individuum behandeln zu können.
Die Erfindung der juristischen Person in Analogie zur natürlichen und die Meisterung der damit verbundenen Folgeprobleme war und ist eine große Leistung der Jurisprudenz, ohne die die moderne arbeitsteilige Gesellschaft nicht vorstellbar wäre. Sie war so erfolgreich, dass heute praktisch überall im Rechtsleben Organisationen als die maßgeblichen Akteure auftreten. Heute geht es nicht länger darum, die Gleichstellung von Organisationen mit Individuen zu begründen, sondern gerade umgekehrt die Unterschiede aufzuzeigen, die eine ungleiche Behandlung fordern und rechtfertigen.
Die ökonomische und politische Macht der Organisationen ist so angewachsen, dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um sie mit rechtlichen Mitteln unter Kontrolle zu bringen. Nicht zufällig hat sich die Theorie des Staats- und Verfassungsrechts von der individualistischen Grundkonzeption am weitesten entfernt. Sie hat das Phänomen des korporatistischen oder mediatisierten Staates, des Staates also, dessen Wirklichkeit durch eine Vielzahl pluralistischer Organisationen geprägt wird, jedenfalls im Blick. Aber bis heute verkehrt der private Autofahrer mit dem Ölmulti rechtlich auf der gleichen Ebene wie mit seinem Friseur. Dabei geht es nicht um den Gegensatz zwischen Arm und Reich, zwischen Unterschicht und Oberschicht, und ebenso wenig um den Gegensatz zwischen Produktionsmitteleigentümern und anderen. Zwischen Individuum und Organisation besteht ein struktureller Unterschied von ganz anderer Qualität. Coleman (der Organisationen als korporative Akteure anspricht) hält ihn für so grundlegend, dass er von der asymmetrischen Gesellschaft spricht.
Die Wesenszüge der asymmetrischen Gesellschaft hat Coleman wie folgt zusammengefasst:
– Korporative Akteure bestimmen die moderne Welt. Organisationen sind zahlreicher, größer und mächtiger geworden. Individuen werden mehr und mehr irrelevant.
– Korporative Akteure können mehr und mehr Rechte geltend machen.
– Korporative Akteure monopolisieren mehr und mehr die Informationen, die für soziale Entscheidungen notwendig sind. Individuen erhalten ihre Informationen nur noch gefiltert durch Organisationen.
– Diese Asymmetrie ist zur Grundstruktur der Gesellschaft geworden.
– Konsequenz ist die Notwendigkeit einer übergreifenden Autorität. Das heißt praktisch der Staat als Gegenmacht.
– Individuen, die ihre Interessen wahren wollen, müssen sich dazu mehr und mehr auf die größte aller Organisationen, auf den Staat, verlassen.
– Für reale Probleme oder auch nur Ängste werden zunehmend korporative Akteure verantwortlich gemacht.
– Die Familie könnte ein Gegengewicht gegen den Einfluss korporativer Akteure bilden. Aber die Kultur drängt zum Individualismus und lockert damit die Familienbindung.
Coleman und mehr oder weniger alle Beobachter sind der Ansicht, dass es gilt, die Asymmetrie zwischen Individuen und korporativen Akteuren auszugleichen, also die Handlungsmacht der Organisationen zu beschränken und die individuelle Macht zu stärken. Es gibt dazu viele Ansätze zu Verbesserung der Stellung von Individuen in und gegenüber Organisationen. Sie reichen von Managementtheorien über die Compliance-Bewegung und enden noch lange nicht bei Bemühungen um eine bürgerfreundliche Verwaltung und Hilfsangeboten für Verbraucher, Patienten usw. Aber letztlich geht es nicht ohne Recht.
II. Die strukturelle Differenz zwischen Individuum und Organisation
[Verwiesen sei hier zunächst auf Rechtssoziologie-online § 76 Organisationen und zur Ergänzung auf einen Eintrag auf Rsozblog.de: Digitalisierung verstärkt die strukturelle Differenz zwischen Individuum und Organisation und erschwert den Zugang zum Recht]
III. Das positive Recht der juristischen Person
IV. Das theoretische Verständnis der juristischen Person
V. Der Umfang der Rechtsfähigkeit
VI. Zwischen Organisation und Vertrag