§ 105 Haftung, Verantwortung, Zurechnung von Kausalität und Schuld

I. Schuld und Haftung

Literatur: Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht, 14. Aufl. 1954, § 2 III (S. 11-13).

Der Schuldbegriff hat zwei Bedeutungen. In der Überschrift dieses Paragrafen meint er die Vorwerfbarkeit in Gestalt von Vorsatz oder Fahrlässigkeit, die zur Begründung einer Haftung führt. Werden jedoch, wie in der Überschrift dieses Abschnitts, Schuld und Haftung zusammen genannt, so ist Schuld die Verpflichtung zu einer Leistung.

Ähnlich ambivalent ist der Haftungsbegriff. Schuld und Haftung werden meist gleichbedeutend verwendet, das heißt, wer haftet, der schuldet, und umgekehrt. Wenn, wie bei der GmbH, von beschränkter Haftung die Rede ist, scheint beides auseinanderzufallen. Tatsächlich beschränkt sich die Haftung und damit die Schuld eines Gesellschafters der GmbH auf die Leistung einer Einlage. Darüber hinaus haftet er auch nicht »beschränkt«. Die Doppelung der Begriffe hat ihren historischen Grund darin, dass mit einer Schuld nicht immer auch der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners eröffnet war. Heute macht die Unterscheidung allenfalls noch Sinn, wenn jemand für eine fremde Schuld ein Pfandrecht oder eine Hypothek als dingliche Sicherheit gegeben hat. Heute dient der Haftungsbegriff in erster Linie dazu, pauschal auf Normkomplexe zu verweisen, die eine Verpflichtung zum Schadensersatz begründen.

II. Verantwortung als Vorstufe der Haftung

Literatur: Peter Badura, Die Verantwortung des Gesetzgebers, JbRSozRTh 1989, 246–254; Mark Bovens, Analysing and Assessing Accountability: A Conceptual Framework, European Law Journal 2007, 447-468; Klaas Hendrik Eller, Das Recht der Verantwortungsgesellschaft, RW 10, 2019, 5-33; Matthias Kaufmann, Verantwortung und Zurechnung, in: Ludger Heidbrink u. a.,  Hb Verantwortung, 2017, 265–276; Theo Mayer-Maly, Privatautonomie und Selbstverantwortung, JbRSozRTh 1989, 268–283; Carolyn Moser, The Concept of Accountability and Human Rights Violations, SSRN 2023, 4655627; Karl Riesenhuber (Hg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011; Anja Seibert-Fohr, Die Regulierung von Verantwortung in entgrenzten Räumen, in: dies., Entgrenzte Verantwortung, 2020, 1–27; Dan Wielsch, Funktion und Verantwortung. Zur Haftung im Netzwerk, RW 10, 2019, 84-108.

Verantwortung ist zunächst eine moralische und sodann eine politische Kategorie. In der Folge überschneiden sich im Sprachgebrauch Begriffe wie Verantwortung, Zurechnung oder Zuschreibung und Haftung, englisch responsability, accountability, imputation und liability. Man streitet darüber, ob Verantwortung überhaupt ein Rechtsbegriff ist. Jedenfalls hat der Begriff auch im juristischen Schrifttum Konjunktur. Dort wird er genutzt, um Subjekte, Handlungsbeiträge oder Zustände zu identifizieren, die als Anknüpfung für Rechtspflichten und Rechtsfolgen in Betracht kommen.

Zu unterscheiden ist zwischen der Aufgaben- oder Gegenstandsverantwortung und der Ergebnis- oder Folgenverantwortung. Aufgabenverantwortung wird prospektiv vom positiven Recht durch die Begründung von Pflichten und Zuständigkeiten zugewiesen. Kollektive Verantwortung ist rechtlich nicht greifbar. Dem Gesetzgeber bleibt keine Wahl, als die Verantwortung durch sein Recht an Personen und Organisationen weiterzugeben. Das bedeutet, dass als Subjekte der Veranwortung nur Individuuen und Organisationen in Betracht kommen, auf die das Recht zugreifen kann. In der modernen Gesellschaft wächst auf der einen Seite das Bedürfnis, für unerwünschte Zutände aller Art einen Haftpflichtigen zu finden, während sich die Suche nach verantwortlichen Subjekten, die haftbar gemacht werden können, zunehmend schwieriger gestaltet:

»Vernetzte Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung, deren hochgetriebene Arbeitsteilung und relative Informalität [werden] häufig gerade als Ausdruck einer ›organisierten Unverantwortlichkeit‹ verstanden« (Eller S. 5f).

Zudem sorgt die Globalisierung mit allen ihren Facetten für eine Entgrenzung, welche die Zuschreibung von Verantwortung erschwert. In der Folge sucht man schon im Vorfeld handfesten positiven Rechts nach Verantwortlichen. Dazu dienen dann Hinweise etwa auf Organisationspflichten, Lieferketten oder Corporate Compliance und auf der Seite von potenziell negativ Betroffenen auf Menschenrechte. Als verantwortlich und damit rechenschaftspflichtig und unter Umständen auch haftbar gilt grundsätzlich jeder, der in irgendeiner Weise Macht ausübt.

»At its core, accountability is about ensuring that those in power are held responsible for their actions and omissions.« (Moser).

Verantwortung begründet Pflichten, die bei künftigem Handeln zu beachten sind. Eine erste Konsequenz aus solcher Verantwortung kann eine Rechenschaftspflicht sein. Sie setzt nicht voraus, dass jemand zu Schaden gekommen/zum Opfer geworden ist. Sie besteht ggfs. auch nicht gegenüber den Geschädigten oder Opfern, sondern zunächst gegenüber der Gesellschaft. Im Schadensfalle steht bei Verletzung von Pflichten, die ex ante Verantwortung begründen, meist auch die Forderung nach Ergebnisverantwortung in Gestalt einer Haftung.

Die Ergebnisverantwortung wird rückblickend zugeschrieben, indem an eine Realfolge Sanktionen als Rechtsfolgen geknüpft werden. Sie ergibt sich weitgehend aus der gesetzlich vorgesehenen Aufgabenverteilung. Rechtsprechung und damit auch die Rechtswissenschaft sind bei der Zuschreibung von Ergebnisveranwortung gefordert, wenn es gilt, Haftung im weiten Sinne, also auch unter Einschluss von Strafbarkeit zu konkretisieren. Insoweit ist der Verantwortungsbegriff als façon de parler zwar üblich und unschädlich, aber neben dem der Haftung überflüssig.

Der oben zitierte Artikel von Carolyn Moser soll in einem »Research Handbook on the Accountability for Human Rights Violations: What, Who, What For, How, To What Extent« erscheinen. Der Titel des Handbuchs gibt einen Hinweis auf die Methode der fünf Ws oder Kipling-Methode, benannt nach dem Gedicht »The Elephants Child« von Rudyard Kipling (1902), auch als 5W1H-Methode bekannt. Die fünf Ws stehen für die Fragen was (what), wann (when), wo (where), bzw. wer (who) und warum (why). Diese Fragen dienen zunächst der Erkundung eines Problems. Das 1H fragt mit dem englischen how nach einer Lösung des Problems. Diese Fragen stellen sich nicht nur, wenn es um Verantwortung geht, sondern sind in allen Zusammenhängen nützlich, die Thema dieses Paragrafen sind.

III. Zurechnung als normtheoretische Entsprechung zur Kausalität

IV. Zurechnung als Universalkonzept für die Zuweisung von Rechtsfolgen

V. Kausalattribution als psychologisches Phänomen

VI. Objektive Zurechnung des Erfolgs als Korrektur nackter Kausalität

VII. Von der Kausalität zur Wahrscheinlichkeit

VIII. Von der Gefahr zum Risiko

IX. Rechtlich gefordertes Risikomanagement