§ 93 Institutionen des Privatrechts

I.        Verträge

1. Der Weg zur rechtlichen Anerkennung der Vertragsfreiheit

Literatur: Marietta Auer, Subjektive Rechte bei Pufendorf und Kant. Eine Analyse im Lichte der Rechtskritik Hohfelds, AcP 208, 2008, 584-634; Duncan Kennedy, From the Will Theory to the Principle of Private Autonomy: Lon Fuller’s »Consideration And Form«, Columbia Law Review 100, 2000, 94-175; Matthew H. Kramer, Getting the Rabbit out of the Hat: A Critique of Anthony Kronman’s Theory of Contracts, Cambridge Law Journal 55, 1996, 358-371; Daniel Markovits/Emad Atiq, Philosophy of Contract Law, SEP 2021Bertram Lomfeld, Die Gründe des Vertrages. Eine Diskurstheorie der Vertragsrechte, 2015 (Rezensionen von Looschelders, AcP 217, 2017, 156-164 und von Marc-Philippe Weller/Alexander Schäfer, JZ 2017, 299-301); Daniel Markovits/Alan Schwartz, Plural Values in Contract Law: Theory and Implementation, Theoretical Inquiries in Law 20, 2019, 571–593; Markus Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip. Eine Vertragstheorie, 2014; Klaus F. Röhl, Über außervertragliche Voraussetzungen des Vertrages, in: FS Schelsky, 1978, 435-480; Walter Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147, 1941, 130-197.

Privatautonomie als Vertragsfreiheit prägt seit der Zeit des römischen Rechts und vollends seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts das Recht jedenfalls der Staaten der westlichen Welt. Rechtsgeschichtlich gesehen ist der Konsensualvertrag eine verhältnismäßig junge Erscheinung, und die Philosophen haben sich mit seiner Rechtfertigung schwergetan. Das hoch entwickelte römische Recht gab auf die bloße Einigung grundsätzlich keine Klagemöglichkeit, sondern forderte entweder den Vollzug einer Leistung (Realvertrag) oder ein in besonderen Formen abgegebenes Versprechen (Stipulation, Literalkontrakt) zur Begründung einer Klage. Nur im Rahmen fester Typen wurden Konsensualkontrakte zugelassen, nämlich für Kauf, Miete, Gesellschaft und Mandat. Erst in nachklassischer Zeit erhielten auch die sogenannten nuda pacta vom Prätor Klageschutz.

Max Weber widmet den langen § 2 seiner Rechtssoziologie den »Formen der Begründung subjektiver Rechte«. Er beschreibt das »Maß der Vertragsfreiheit« in seiner Abhängigkeit von den »von der Zwangsgewalt als ›gültig‹ garantierten Inhalten von Rechtsgeschäften«. Dort geht es um die Frage, ob Vertragsfreiheit eine Fähigkeit ist, die die Rechtsgenossen mitbringen, oder ob sie verliehen wird mit der Folge, dass sie sich nur in den vom Recht institutionell vorgezeichneten Bahnen bewegen kann. Der letztere Standpunkt scheint derjenige Webers zu sein, wenn er sagt: »Die Vertragsfreiheit ist dabei in keiner Rechtsordnung eine schrankenlose, dergestalt, daß das Recht für jeden beliebigen Inhalt einer Vereinbarung seine Zwangsgarantie zur Verfügung stellte. Charakteristisch für die einzelne Rechtsordnung ist vielmehr: für welche Vertragsinhalte dies geschieht und für welche nicht.« (WuG: 413) Vertragsfreiheit entwickelt sich erst in dem Maße, wie das Recht »Kontrakt- und Klageschemata« (WuG: 430) bereithält. Historisch hat sich die Vertragsfreiheit als eine »durch Rechtsschemata reglementierte Ermächtigungsautonomie« (WuG S. 413) entwickelt. Aber am Ende der langen Geschichte wachsender Privatautonomie steht der Anschein, dass die Vertragsfreiheit nicht auf Einzelermächtigungen beruht, sondern durch Recht eingeschränkt wird, ein Anschein, der in der liberalen Naturrechtsphilosophie zur Gewissheit wird.

Eine moderne, ins Normative gewendete Fortsetzung dieser Vertragstypenlehre bieten Ḥanoch Dagan/Michael Heller, The Choice Theory of Contracts, 2017 Ḥanoch Dagan/Michael Heller, The Choice Theory of Contracts, 2017 (Rezension: Arthur Ripstein, The Contracting Theory of Choices, Law and Philosophy 40, 2021, 185-211). Wir haben sie als eine normative Theorie dispositiven Rechts eingeordnet (o.  ).

Thomas von Aquin hatte die Verbindlichkeit des Vertrages aus dem Versprechen in Verbindung mit dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit abgeleitet. Dieser Gedanke beherrschte auch die Spätscholastik. Erst Hugo Grotius verhalf dem Konsensualvertrag endgültig zum Durchbruch. Er vollendete die Abkehr von der kasuistischen oder typisierenden Rechtsanschauung der Antike, indem er nunmehr jede rechtsgeschäftliche Bindung aus der Autonomie der Person herleitete. Danach war nunmehr jeder autonome Akt geeignet, ohne Rücksicht auf seine sozialtypische Bedeutung eine Rechtsbindung zu begründen. Umgekehrt konnten sozialtypische Verpflichtungen nur noch soweit rechtlich anerkannt bleiben, als sie sich auf einen Selbstbindungsakt der Person zurückführen ließen.

Man darf wohl annehmen, dass Grotius mit seiner Lehre vom Versprechen nur dogmatisch überformt hat, was längst Rechtswirklichkeit geworden war. David Hume bezweifelte nicht mehr, dass Versprechen tatsächlich binden. Er hielt aber die Vorstellung, dass der Wille sich im Versprechen selbst festlegen und so eine neue Verpflichtung begründen könne, für einen »der geheimnisvollsten und unbegreiflichsten Vorgänge«, vergleichbar »sogar mit der Transsubstantiation und kirchlichen Weihe«. Humes postmoderne Nachfolger sprechen von der Paradoxie der Selbstvalidierung des Vertrages. Kant teilte die Bedenken gegen die Möglichkeit der Selbstverpflichtung nicht. Während Grotius seine Autonomievorstellung noch auf eine stoisch-christliche Denktradition gestützt hatte, wendete Kant die Lehre von der Privatautonomie ins Weltliche. Dort konnte sie sich im 19. Jahrhundert mit den Lehren der Nationalökonomie von den Funktionen des Marktes verbinden und so zur dogmatischen Grundlage des Vertragsrechts werden, und das durchaus nicht nur als bloße »Widerspiegelung«, sondern als eine die Rechtswirklichkeit treibende und formende Kraft.

Bei Kant, so Marietta Auer, habe die »moderne normativ-individualistische Wertungseinheit von Person, Autonomie und subjektivem Privatrecht ihre paradigmatische Fassung gefunden« (S. 104). »Hegels geniale Intuition für die tiefe Ambivalenz von Anspruch und Wirklichkeit der modernen Gesellschaft einschließlich ihrer immanenten Tendenz zur Selbstzerstörung, und Verelendung« (S. 105) weise dagegen bis heute die Richtung für den Diskurs um das Verständnis der Spätmoderne. Von dieser Ambivalenz sei auch die Privatrechtstheorie heute geprägt.

Vor dem Hintergrund des Marktes sind materielle Äquivalenz und formeller Konsens an sich keine Gegensätze, denn es ist gerade die Funktion des Marktes, Angebot und Nachfrage zum Ausgleich zu bringen. Für die Rechtsdogmatik hat Schmidt-Rimpler diese Funktion auf die Formel von der Richtigkeitsgewähr des Vertrages als einer Ordnung durch die Nächstbeteiligten gebracht. Die Marktkräfte können sich nur durchsetzen, wenn das Recht darauf verzichtet, auf den Vertragsinhalt Einfluss zu nehmen, so dass im Ergebnis doch allein der Konsens den Ausschlag gibt. Daher ist es letztlich der Wille der Parteien, nicht aber die innere Gerechtigkeit des Tausches, der den Vertrag verbindlich macht.

Im Vertragsrecht des BGB findet sich das Prinzip der Reziprozität nur noch im genetischen und funktionalen Synallagma des Austauschvertrages. Alle anderen Vertragstypen werden juristisch als ein- oder unvollkommen zweiseitig verpflichtende oder als unentgeltliche Verträge eingeordnet. Die in den Lebensvorgängen auch hier immer noch vorhandene Reziprozität spiegelt sich juristisch nur noch in der Forderung nach einer causa, einem Rechtsgrund der Leistung, der vor der Rückforderung als »ungerechtfertigte Bereicherung« schützt. Eine ähnliche, allerdings noch stärker symbolhafte Funktion hat im angloamerikanischen Recht das Erfordernis der consideration.

Die Reziprozität als Rechtfertigungsgrund entfällt bei Verfügungsverträgen wie der Abtretung einer Forderung (§ 398 BGB) oder der Übereignung einer Sache (§ 929 BGB). Solche abstrakten Verfügungen werden jedoch regelmäßig von kausalen Schuldverträgen begleitet. abstrakten Schuldverträgen. Rechtfertigungsgrund für die Wirksamkeit abstrakter Verfügung ist die Rechtssicherheit. Insoweit entscheiden freilich manche Rechtsordnungen anders als die deutsche. Anerkannt werden aber auch abstrakte Schuldverträge. Als solche kommen insbesondere Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis (§§ 780f BGB) in Beracht. Zur Rechtfertigung abstrakter Schuldverträge Gabriel Kogler, Vergleich und Anerkenntnis. Zugleich eine Darlegung der Zulässigkeit abstrakter Schuldverträge, 2021 (Zusammenfasung AcP 223, 2023, 663-665).

Es bleibt eine offene Frage, ob die rechtliche Verbindlichkeit des Vertrages eher durch Selbstbindung (Privatautonomie), durch Vertragsgerechtigkeit oder durch Nützlichkeit für die Gesellschaft begründet ist. Die historische Betrachtung kann weder die eine noch die andere Lösung als »richtig« oder »falsch« erweisen, sondern nur aufzeigen, wie die Auffassungen im Laufe der Zeit verschieben. Moderne Privatrechtstheorie stellt nicht auf einen einzigen Rechtfertigungsgrund für die Anerkennung des Vertrages ab. Insbesondere der individuelle Rechtsgeschäftswille, der als Willenstheorie lange das Privatrecht dominierte, ist zu einem, wenn auch immer noch dem wichtigsten, »Prinzip« herabgestuft worden. Deshalb ist von einer pluralistischen Vertragstheorie die Rede (Lomfeld, Markovits/Schwartz). Lomfelds eigener Versuch, die Rechtfertigung des Vertrages auf diskursive und deliberative Elemente zu stützen, ist eher modisch als überzeugend: Der Vertrag als kommunikative Form sozialer Bindung, das ist unsinniger Tiefsinn.

2. Rechtstechnische und materielle Voraussetzungen des Vertrages

3. Vertragsgegenstände und Vertragstypen

4. Die Auslegung von Willenserklärungen

5. Europäisches Vertragsrecht

6. Rechtlose Verträge?

Texte von Stewart Macaulay, Non-contractual Relations in Business, American Sociological Review 28, 1963, 55-69; ders., Law and the Balance of Power: The Automobile Manufacturers and Their Dealers, 1966; ders., Elegant Models, Empirical Pictures, and the Complexities of Contract, LSR 11, 1977, 507-528; ders., An Empirical View of Contract, Wisconsin Law Review 1985, 465-482; ders., Long-Term Continuing Relationships: The American Experience Regulating Dealerships and Franchises, in: Christian Joerges, Franchising and the Law/Das Recht des Franchising, 1991, 179-237.

Literatur: Avinash K. Dixit, Lawlessness and Economics, Alternative Modes of Governance, 2004; Lane Kenworthy/Stewart Macaulay/Joel Rogers, ›The More Things Change …‹: Business Litigation and Governance in the American Automobile Industry, Law and Social Inquiry 21, 1996, 631-678; Monika Leszczyńska, Empirical Methods in Contract Law, in: Yuliya Chernykh,/Joshua Karton, Research Methods Handbook for Contract Law and Scholarship, 2024 = SRN 2024, 4685179; Jürgen Oechsler, Wille und Vertrauen im privaten Austauschvertrag. Die Rezeption der Theorie des Relational Contract im deutschen Vertragsrecht in rechtsvergleichender Kritik, RabelsZ 60, 1996, 91-124. Für Einzelheiten und die umfangreiche Literatur sei hier verwiesen auf Röhl, Rechtssoziologie-Online.de, § 64: Der Vertrag als Institution.

In der Rechtssoziologie galt es einmal als große Entdeckung, dass staatliches Recht als außervertragliche Grundlage des Vertrages nur eine kleine Rolle spielt, weil es durch die Reziprozität des Austauschs, durch soziale Beziehungen und durch außerrechtliche Normen und Sanktionen ersetzt wird. Als »Entdecker« gilt Stewart Macaulay mit seiner Untersuchung über »Non-contractual Relations in Business« (1963).

Macaulay schilderte, wie die meisten großen und viele kleine Firmen wichtigere Geschäfte zwar zunächst in sehr sorgfältig und vollständig ausgearbeitete Verträge bringen. Bei der Abwicklung dieser Verträge und überhaupt bei Routinegeschäften aller Art wird aber die Berufung auf vertragliche und gesetzliche Rechte peinlich vermieden. Kleinigkeiten übersieht man (»lumping it«). Größere Probleme werden im Verhandlungsweg gelöst. »You can settle any dispute if you keep the laywers and accountants out of it. They just do not understand the give-and-take needed in business«, so lautete eine typische Antwort, die Macaulay von einem befragten Geschäftsmann erhielt. Macaulay kam zu dem Schluss, dass das Vertragsrecht für die Planung und Abwicklung von Verträgen weitgehend irrelevant sei; wenn die Beteiligten überhaupt Anwälte oder Gerichte bemühten, dann eher aus taktischen Gründen, nämlich um die eigene Verhandlungsposition zu stärken, als zur Berufung auf die im Gesetz verkörperten Werte oder zur Durchsetzung moralischer Positionen. Verträge stabilisierten und regulierten sich bis zu einem gewissen Grade selbst. Macaulay sprach von private government. Ganz neu war diese Entdeckung nicht. Erst ein Jurist – Jürgen Oechsler – musste darauf hinweisen, dass sie eigentlich schon auf die Legal Realists und Karl Llewellyn zurückgeht.

Es ist schwer, ja unmöglich, die Bedeutung offiziellen Rechts als Vertragsgrundlage im Verhältnis zu anderen sozialen Phänomenen zu quantifizieren. In der Rechtssoziologie besteht die Tendenz, die Bedeutung des offiziellen Rechts herunterzuspielen. Juristen, aber auch Ökonomen wie Douglas North und Eric Posner, schätzen das Recht dagegen höher ein. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. Unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft ist offizielles Recht als außervertragliche Grundlage des Vertrages unverzichtbar. Aber allein könnte das Recht die Last der Stabilisierung von Verträgen gar nicht tragen. Deshalb ist es wichtig, die Mechanismen, die das Recht bei der Stabilisierung von Verträgen stützen oder teilweise gar erübrigen, möglichst genau zu kennen. Die Empirie zeigt allerdings, dass selbstregulierende Vertragsregime das offizielle Recht nur in überschaubaren sozialen Gruppierungen erübrigen können.

Aktuell geht eine Tendenz dahin, staatsfreie Rechtsbildungen im transnationalen Raum zu beobachten (o. § 68) und von dort aus die außervertraglichen Grundlagen des Vertrages und darüber hinaus des Rechts in einer globalen Rechtsgemeinschaft zu suchen.

II. Eigentum

Neuartige Anteilsrechte sind die Non-Fungible-Token (NFT). Die NFT als solche sind mit der Blockchaintechnologie erzeugte, praktisch fälschungssichere Zeichenketten. Fälschungssicher soll auch die Zuordnung zu bestimmten Berech-tigten sein, weil Abtretungen zum Teil der Zeichenkette werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die NFT dazu die-nen, real nicht teilbare Werte zu stückeln (dazu Wellerdt, Non-Fungible Token? – Eine aufsichtsrechtliche Einordnung, WM 2021, Nr. 49, 2379). Teilweise werden die Token – z. B. als Bitcoins – selbst zu virtuellen Vermögenswerten.

Unklar ist die Zuordnung tokenisierter realer Vermögenswerte. Hanelt es sich um Fordrungen, um Sachen oder um Rechte eigener Art. Zu alledem jetzt der Sammelband Florian Möslein/Sebastian Omlor (Hg.), Blockchain und Recht, 2024.

III. Erbrecht

IV. Ehe und Familie

V. Persönlichkeit