I. Sozialrecht und soziale Rechte
Literatur: Ulrich Becker, Das Sozialrecht: Systematisierung, Verortung und Institutionalisierung, in: Franz Ruland u. a., Sozialrechtshandbuch, 7 Aufl. 2022, § 1; Frank Nullmeier, Sozialstaat, in: Uwe Andersen u. a. (Hg.), Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 2021, 836–842; Frans Pennings/Gijsbert Vonk (Hg.), Research Handbook on European Social Security Law, 2023; Danny Pieters, Navigating Social Security Options, 2019; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Soziale Grundrechte, Ausarbeitung WD 3 – 050/07, 2007; Hans Friedrich Zacher, Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht, in: FS Werner Lorenz, 1991, 1991, 847-873; ders., Annäherungen an eine Phänomenologie des Sozialrechts, in: FS Papier, 2013, 435-463.
Nach Art. 20 I ist die Bundesrepublik Deutschland (auch) »ein sozialer Bundesstaat«, kurz ein Sozialstaat. Das Art. 20 I entnommene Sozialstaatsprinzip deckt weit mehr als das Sozialrecht, etwa progressive Steuern oder das soziale Mietrecht und die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch das Arbeitsrecht. Neuerdings wird es sogar für den Klimaschutz in Anspruch genommen. Es hat sich zu einer Generalklausel für »soziale« Gerechtigkeit entwickelt.
Das Sozialrecht hat einen engeren Aufgabenbereich. Sein Grundprinzip ist die soziale Sicherheit, der sich aus der früheren Armenpflege entwickelt hat. Während soziale Gerechtigkeit vom Gleichheitsgedanken ausgeht, zielt soziale Sicherheit auf Schutz vor den Wechselfällen des Lebens. Im Idealfall ist das Individuum im Stande, sich durch »seiner Hände Arbeit« die Ressourcen für einen angemessenen Lebensstandard zu verdienen. In diesem Sinne hieß es in Art. 163 II WRV:
»Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.«
Tatsächlich stehen dem oft Krankheit und Alter, Unglück und Arbeitslosigkeit im Wege. Im 19. Jahrhundert wurde der Schutz gegen solche Risken als staatliche Aufgabe wahrgenommen. Eine Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 gab den Anstoß zum Aufbau einer Pflichtversicherung gegen Unfall, Krankheit und die Risiken des Alters. Seither bilden die Sozialversicherungen den Kernbereich des Sozialrechts. Weitere Kernmaterien sind die Sozialhilfe und die Arbeitsvermittlung. Mit dem Sozialrecht bietet der Sozialstaat eine Universalversicherung gegen die Großrisiken des Lebens und gewährleistet eine umfassende Daseinsvorsorge.
Eine befriedigende materielle Definition des Sozialrechts fehlt. Über den Zuständigkeitskatalog des § 51 SGG lässt sich das Sozialrecht formell abgrenzen. Dazu kommen die »Besonderen Teile« des Sozialrechts (§ 68 SGB I), die noch nicht in das SGB eingeordnet sind.
II. Sozialrecht als spezielles Leistungsverwaltungsrecht
III. Institutionalisierung des Sozialrechts