Literatur: Franz Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996; ders., Die »Elemente« des Beweglichen Systems, in Bernd Schilcher u. a. (Hg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, 9; Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, 2. Aufl. 1983; Helmut Coing, Geschichte und Bedeutung des Systemgedankens in der Rechtswissenschaft, 1956; Karl Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, Studium Generale 1957, 173-190; ders., Begriffseinteilung und Klassifikation in der Jurisprudenz, FS Larenz 1973, 126-153; Maximilian Herberger, Dogmatik, 1981; Patrick Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015; Nils Jansen, Rechtswissenschaft und Rechtssystem, Sieben Thesen zur Positivierung des Rechts und zur Differenzierung von Recht und Rechtswissenschaft, 2018; Franz J. Peine, Das Recht als System, 1983; Martin Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 2009; Gerald J. Postema, Law’s System: The Necessity of System in Common Law, New Zealand Law Review 2013, 69-106; Jürgen Rödig, Die Denkform der Alternative in der Jurisprudenz, 1969 (S. 51-58); Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2006; Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1953; Walter Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950; ders., Zusammenspiel der Kräfte im Aufbau des Schuldrechts, AcP 163, 1964, 346-379; Hans J. Wolff, Typen im Recht und in der Rechtswissenschaft, Studium Generale 5, 1952, 196-205.
I. Sozialsystem und dogmatisches System
»Die topische Methode, wie wir sie verstehen, ist die Methode, unablässig nach allen Seiten und vor allem nicht ganz ungeschickt zu fragen. Die phänomenologische Methode ist demgegenüber die Methode, einen Gegenstand für sich und so, wie er ist, zu sehen; ihn dabei, sich gleichsam selbst vergessend, ganz einfach zu betrachten. Die topische Methode ist darauf gerichtet, unser Denken zu erweitern; die phänomenologische, es zu vertiefen; die systematische Methode aber, es zu ordnen.« (Rödig S. 51).
In der Vorauflage haben wir dem Abschnitt über »Das dogmatische System« einen Abschnitt über die soziologische Systemtheorie vorangestellt. Um den Umfang dieses Buches in Grenzen zu halten, verzichten wir jetzt darauf. Das gilt um so mehr als dieser Paragraf in einer Neubearbeitung erheblich länger geworden wäre. Wir behelfen uns mit einem Verweis auf rechtssoziologie-online.de §§69-71.
Werner Krawietz hat mit Nachdruck die These vertreten, die Allgemeine Rechtslehre als Strukturtheorie des Rechts müsse sich an die soziologische Systemtheorie, insbesondere in ihrer Ausprägung durch Niklas Luhmann anlehnen. In der Konsequenz müsse sie dann auf die Vorstellung einer Grundnorm, eines Stufenbaus der Rechtsordnung und der Einheit des Rechtssystems verzichten.
Werner Krawietz, Recht und moderne Systemtheorie, in: Vernunft und Erfahrung im Rechtsdenken der Gegenwart, 1986, 281–309 = Beiheft 10 der Zeitschrift »Rechtstheorie«
Diese Forderung ist jedoch verfehlt. Sie beruht auf der Konfusion der Beobachterperspektive des Soziologen mit der Binnenperspektive des Juristen. Die Jurisprudenz darf sich nicht der »Eigenrationalität« sozialer Systeme aussetzen, sondern muss ihre eigene Rationalität walten lassen, d. h. die individuelle Rationalität denkender Menschen. Um es mit einem Vergleich zu sagen: Der Jurist ist der Seemann, der sich in seinem Schiff auf den Ozean begibt. Den Ozean um sich herum kann er nicht bändigen. Er kann nur versuchen, das Schiff mit seinen eigenen kleinen Fertigkeiten und Mitteln über Wasser zu halten und wieder in einen Hafen zu bringen. Das Recht als soziales System lässt sich ebenso wenig beherrschen wie der Ozean. Der Jurist kann nur versuchen, sich mit seinen Theorien eine Orientierung zu verschaffen. Davon lässt sich das Recht als soziales System ebenso wenig beeinflussen wie der Ozean von dem Netz der Längen- und Breitengrade, das die Geographen ihm verpasst haben. Von außen betrachtet entwickelt sich das Recht vielleicht mehr oder weniger funktional, aber kaum rational. Insgesamt gesehen handelt es sich um ein evolutionäres Geschehen, das sich mit den soziologischen Systemtheorie recht gut beschreiben lässt. Doch wenn es gilt, Rechtsfragen zu entscheiden, sei es auf der Ebene der Gesetzgebung, sei es in der Wirtschafts-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, wird kein Jurist sagen: Lauschen wir doch auf die Eigenrationalität der Systeme. Lassen wir uns also von der Entwicklung treiben, sondern er wird den Versuch unternehmen, seine Entscheidung »rational« zu treffen, (hoffentlich) wohl wissend, dass die beobachtenden Soziologen ihn am Ende doch wieder für einen Getriebenen halten und seine subjektive Rationalität dekonstruieren. Es liegt analog zum Determinismusproblem. Auch konsequente Deterministen ergeben sich nicht dem Schicksal.