§ 84 Kritik des subjektiven Rechts

I. Alte und neue Kritik

»Ein jedes subjektives Recht ist eine Machtquelle« schrieb Max Weber in seiner Rechtssoziologie (WuG 1922, 412). Das ist rechtstheoretisch eine Trivialität, denn jedem Recht entspricht eine Pflicht. Praktisch und faktisch ergibt diese Konstellation jedoch seit jeher Anlass zur Kritik. In der berühmten Rezensionsabhandlung zweier Schriften Bruno Bauers »Zur Judenfrage« schrieb Karl Marx 1843:

»Aber das Menschenrecht der Freiheit basiert nicht auf der Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Absonderung des Menschen von dem Menschen. Es ist das Recht dieser Absonderung, das Recht des beschränkten, auf sich beschränkten Individuums. Die praktische Nutzanwendung des Menschenrechtes der Freiheit ist das Menschenrecht des Privateigentums.«

Heute kommt die Kritik aus unterschiedlichen Richtungen.

  • Subjektive Recht ermächtigen Individuen. Sie hindern damit eine zentrale Lenkung. Das ist der Grund, weshalb autoritäre Regime subjektive Rechte einschränken.
  • Subjektive Recht ermächtigen die Individuen ungleich. Daraus folgt die Kritik am Eigentum und an der formellen Gleichheit der Rechtssubjekte im Wirtschaftsverkehr.
  • Subjektive Rechte setzen den »Zugang zum Recht« voraus, der vielfach nicht vorhanden ist.
  • Subjektive Rechte haben Wirkungen für unbeteiligte Dritte.
  • Subjektive Recht ermächtigen Individuen, davon ohne Begründung (und damit sozialschädlich) Gebrauch zu machen. Das ist der Grund für moralische Kritik an der Willenstheorie (u. III).
  • Subjektive Rechte deformieren den menschlichen Charakter und werden so zum »Hindernis eines guten oder gelingenden Lebens« (Loick).
  • Subjektive Rechte individualisieren soziale Konflikte.
  • Subjektive Rechte führen zur Verrechtlichung der Lebenswelt.
  • Subjektive Rechte setzen ein Subjekt voraus, dass es so gar nicht gibt (u. V).

II. Neutralitätsliberalismus vs. Perfektionismus

III. Sozialphilosophische Kritik in marxistischer Tradition

Literatur: Sonja Buckel, Subjektivierung und Kohäsion. Zur Rekonstruktion einer materialistischen Theorie des Rechts 2015; dies., Die Bürde der subjektiven Rechte, KJ 2017, 461-474; Andreas Fischer-Lescano u. a. (Hg.), Gegenrechte, 2018 [Sammelband zu dem Buch von Menke]; Daniel Loick, Juridismus. Konturen einer kritischen Theorie des Rechts, 2017 (Rezension von Jakob Gaigg, Juridismuskritik, Juridikum 2018, 277-280); Christoph Menke, Kritik der Rechte, 2015; ders., Die Kritik des Rechts und das Recht der Kritik, Deutsche Zf Philosophie 66, 2018, 143-161; Ulrich Klaus Preuss, Die Internalisierung des Subjekts. Zur Kritik der Funktionsweise des subjektiven Rechts, 1979; Imke Rickert, Zur Dialektik des Rechts in der bürgerlichen Gesellschaft. Elemente der Marxschen Rechtskritik, KJ 54, 2021, 3-16; L Gayatri Chakravorty Spivak, Righting Wrongs. Unrecht richten, 2008.

Zu dem Buch »Kritik der Rechte« von Christoph Menke (2015) eine ausführliche Kritik in einer Reihe von Einträgen auf Rsozblog:

Mehr als postmodernes Gewaltgeraune eines Schlangenmenschen? Prolegomena zur Lektüre der »Kritik der Rechte« von Christoph Menke

Die Selbstreflexion der Musik hilft bei der Kritik der »Kritik der Rechte«

Hauptsache Moral, welche ist egal. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte«

Das subjektive Recht ein hohles Ei. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« II

Im Spiegelkabinett der Selbstreflexion. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« III

Alles ist politisch. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« IV

Schluss mit der Kritik der Rechte

 

IV. Verrechtlichung

V. Das Subjekt subjektiver Rechte

VI. Lob der Rechte