I. Rechtssatzbegriffe und rechtsdogmatische Begriffe
Literatur: Karl Engisch, Begriffseinteilung und Klassifikation in der Jurisprudenz, FS Larenz, 1973, 126–153; Jannis Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017; Rolf Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985.
Begriffe sind Namen für eine Klasse von Gegenständen. Oft ist schon im Hinblick auf einzelne Tatbestandsmerkmale bestimmter Normen von einem Rechtsbegriff die Rede. So sprechen wir vom Gewahrsamsbegriff des § 242 StGB, vom Sachbegriff des § 90 BGB oder vom »Begriff« des Gesetzes in Art. 103 II GG. Hier bezeichnet der Begriff jeweils die Klasse der Gegenstände, die von dem gemeinten Tatbestandsmerkmal erfasst wird. Karl Engisch hat die in Gesetzen und anderen textlich ausformulierten Rechtsquellen verwendeten Begriffe Rechtssatzbegriffe genannt. Dogmatische Begriffe – Engisch sprach von »freien wissenschaftlichen Begriffen« – helfen bei der Anwendung von Gesetzen, auch wenn sie als solche nicht im Gesetzestext stehen (Lennartz).
Komplexere Begriffe erfassen Tatbestandsmerkmale, die in mehreren Normen vorkommen. Solche Begriffe werden oft mit Hilfe einer Legaldefinition festgelegt. In anderen Fällen bilden dogmatische Begriffe das Ergebnis der Gesetzesauslegung. Als Beispiel können der strafrechtliche Urkundenbegriff oder der Besitzbegriff des BGB dienen. Verschiedene Rechtstexte sprechen jedoch nicht immer mit einer Zunge, sondern verwenden die Begriffe gelegentlich inkonsistent. Der strafrechtliche Urkundenbegriff ist nicht der gleiche wie der Urkundenbegriff der ZPO. Die (von Wank, S. 47) so genannten Statusbegriffe knüpfen an den bezeichneten Status gleich mit einem ganzen Bündel von Rechtsfolgen an, z.B. an den Status des Kaufmanns oder den des Arbeitnehmers. Von der Begriffsbestimmung hängt die Anwendung ganzer Normenkomplexe ab. Nicht selten wird deshalb mit Blick auf die Rechtsfolgen, die verschiedene Normen an anscheinend denselben »Status« knüpfen, der Begriff unterschiedlich bestimmt. So ist es mindestens problematisch, ob der Begriff des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht derselbe ist wie im Sozialversicherungsrecht. Diese Frage lässt sich nicht durch eine feststellende Definition, sondern nur durch eine wertende Entscheidung beantworten. Darauf ist sogleich in dem Abschnitt über die Relativität von Rechtsbgriffen zurückzukommen.
Schließlich gibt es Begriffe, die nicht bloß Normelemente, sondern eine Klasse von Normen bezeichnen. Zwar sind Begriffe keine Sätze. Sie können aber als Namen für Sätze stehen. So bildet der Begriff des Eigentums die Zusammenfassung aller Normen, die das Recht zur Beherrschung einer Sache ausgestalten. Der Begriff der Insolvenz ist der Inbegriff der Normen des Insolvenzrechts. Im Begriff der Teilnahme sind alle Regeln des Strafrechts zusammengedacht, die auf das Zusammenwirken mehrerer an einer Tat bezogen sind. Begriffe dieser Art können als institutionelle Begriffe ein Eigenleben gewinnen.
Soweit kann man mit Somló (S. 26) von Rechtsinhaltsbegriffen sprechen, weil sie ihren Inhalt von den Bestimmungen des positiven Rechts erhalten. Rechtsformbegriffe sind demgegenüber solche, die für jede denkbare Rechtsordnung ohne Rücksicht auf ihren konkreten Inhalt Bedeutung haben sollen (u. § 10 I). Als solche kommen in Betracht die Begriffe der Norm, des subjektiven und des objektiven Rechts, des Tuns und des Unterlassens oder der Kausalität.