I. Das System des Strafrechts
Literatur: Eric Hilgendorf/Hans Kudlich/Brian Valerius (Hg.), Handbuch des Strafrechts, 2018ff: Bd. II § 27 System- und Begriffsbildung im Strafrecht (Hilgendorf).
Das Strafrecht erscheint insgesamt »systematischer« als die anderen Rechtsgebiete. Das dürfte damit zu tun haben, dass die Strafrechtsdogmatik angesichts des Nulla-poena-sine-lege-Prinzips (Art. 103 II GG) hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Rechtsgewinnung de lege lata auf enge Grenzen stößt.
Das Scharnier zwischen dem positiven Recht und vorpositiven rechtsphilosophischen und rechtspolitischen Rechtfertigungen des Strafrechts ist der Verbrechensbegriff. Die Suche nach dem »natürlichen« Verbrechen, wie sie früher einmal in der Kriminologie versucht wurde, ist praktisch eingestellt. Verbrechen ist nur die Straftat, also eine Tat, die gegen ein Strafgesetz verstößt. Warum überhaupt gestraft werden darf und soll ist Thema der Straftheorie. Welches soziale bzw. unsoziale Verhalten strafwürdig ist und deshalb unter Strafe gestellt werden soll, ist Thema der Rechtsgutlehre.
An den positivistischen Verbrechensbegriff knüpft die Lehre von der Straftat mit einem dreistufigen Aufbau von von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld. Wir behandeln diesen Aufbau in § 99 besonders, weil man ihn über den Bereich des Strafrechts hinaus als Element der Allgemeinen Rechtslehre nutzen kann. Die von der deutschen Strafrechtsdogmatik entwickelte Systematik hat sich international als Erfolgsmodell erwiesen, wiewohl es durchaus Rechtssysteme gibt, die den Aufbau der Straftat anders vornehmen (Hilgendorf Rn. 16ff).