I. International – supranational – transnational
Literatur: Gralf-Peter Calliess/Peer Zumbansen, Rough Consensus and Running Code, A Theory of Transnational Private Law 2010; Roger Cotterrell, What Is Transnational Law? Law & Social Inquiry 37, 2012, 500–524 (Rezensionsabhandlung zu von Daniels und Callies/Zumbansen); Detlef von Daniels, The Concept of Law from a Transnational Perspective, 2010; Philip C. Jessup, Transnational Law, 1956. Das Eingangskapitel aus Jessups Buch ist abgedruckt und wird ausführlich gewürdigt in Band 50 der Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, hg. von Christian Tietje. u. a., 2006 (OA).
International: Andere Sprachen bezeichnen das Völkerrecht als internationales Recht: (Public) International Law/Droit international public. Daher werden alle Rechtsnormen und Institutionen, die ihre Grundlage im Völkerrecht haben, als international bezeichnet, z.B. der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH), der Internationale Währungsfonds (IWF) usw. Als international wird mit dem Internationalen Privatrecht allerdings auch das nationale Kollisionsrecht bezeichnet (conflict of laws bzw. private international law/droit international privé).
Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht hat 2011 ihren Namen in Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht geändert, um deutlich zu machen, dass ihr Gegenstandsbereich das Internationale Privatrecht mit umfasst.
Supranational ist das Recht der Europäischen Union, weil die Organe der Union Recht setzen können, das unmittelbar in den Mitgliedstaaten verbindlich ist, mitgliedstaatlichem Recht vorgeht und auf das sich die Individuen unmittelbar berufen können (vgl. Art. 23 GG, Art. 288 II AEUV).
Transnational ist demgegenüber eine Sammelbezeichnung für alles Normmaterial, das für die Ordnung grenzüberschreitender Handlungen aoder Ereignisse in Betracht kommt. In diesem Sinne wurde der Ausdruck 1956 von dem Richter am IGH Philip Jessup durch ein Buch mit dem Titel »Transnational Law« geprägt. Jessup verwies darauf, dass immer mehr »transnationale Situationen« beobachtet würden, an denen eine Vielfalt von Akteuren wie Individuen, Unternehmen, Staaten, Organisationen mit staatlicher Beteiligung und andere Gruppierungen beteiligt seien.
»Both public and private international law are included, as well as other rules which do not wholly fit into such standard categories.«
Für Jessup bildete transnationales Recht eine komplexe Mixtur aus nationalem und internationalem Recht. Der aktuelle Sprachgebrauch bleibt schillernd. Wer sich nur beiläufig zum Thema äußert, führt meistens den Sprachgebrauch Jessups fort. Autoren, welche der von Gunther Teubner ausgebauten systemtheoretischen Sichtweise folgen, sehen im transnationalen Recht – anders als Jessup – ein Aliud zum nationalen und internationalen Recht. Das transnationale Recht soll mehr und/oder anderes sein als die Summe des offiziellen Völkerrechts. Dabei soll es sich um eine autonome Selbstregulierung in erster Line der Wirtschaft, aber auch etwa des Sports oder des Internets handeln. Als Beispiel dient immer wieder die lex mercatoria. Für andere Autoren öffnet der Begriff die globale Dimension des Rechtspluralismus (Berman, Günther, Michaels) oder von Governance (Quack, Schuppert). Wir sehen dagegen in dem, was als transnationales Recht vorgestellt wird, soweit es sich nicht als privatautonome Rechtsbildung einordnen lässt, die informelle Institutionalisierung des Völkerrechts. Zu dieser Diskussion u. § 76XXX.
II. Akteure der Rechtsentwicklung
Literatur: Stephan Hobe, Der Rechtsstatus der Nichtregierungsorganisationen nach gegenwärtigem Völkerrecht, ArchVR 37, 1999, 152-176; Margaret P. Karns/Karen A. Mingst, International Organizations, The Politics and Processes of Global Governance, 2004; Jan Klabbers, An Introduction to International Organizations Law, 3. Aufl. 2015; Volker Rittberger u. a., Internationale Organisationen, 4. Aufl. 2013; Volker Rittberger u. a., International Organization, 3. Aufl. 2019; Thomas J. Volgy u. a., Identifying Formal Intergovernmental Organizations, Journal of Peace Research 45, 2008, 837-850, auch in: Paul Francis Diehl/Brian Frederking (Hg.), The Politics of Global Governance. International Organizations in an Interdependent World, 4. Aufl. 2010; 13-25.
Jessup hatte auf die Vielfalt der Akteure hingewiesen, die als Normproduzenten und Normagenten am transnationalen Recht beteiligt sind. Hier sollen sie – mit den üblichen Abkürzungen – vorgestellt werden:
– An erster Stelle stehen die IGOs, nämlich die International Governmental Organizations. Das sind die völkerrechtlich begründeten internationalen Organisationen, allen voran die Welthandelsorganisation WTO, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die OECD. Besonders aktiv ist auch die International Labor Organization (ILO), eine Untereinheit der UNO. Sie haben sich im Verhältnis zu den Nationalstaaten mehr oder weniger verselbständigt und entwickeln eine Eigendynamik, mit der sie normbildend tätig werden. Die Gesamtzahl der IGOs wird auf 3.000 bis 4.000 geschätzt.
– An zweiter Stelle werden meistens die Global Player der Wirtschaft genannt. Das sind die multinationalen Unternehmen (MNU oder TRANCO = Transnational Corporations and Conglomerates). Die hundert größten von ihnen übertreffen an Umsatz das Bruttosozialprodukt von hundert und mehr Staaten.
– Die größte Aufmerksamkeit gilt den sogenannten INGOs als zivilgesellschaftlichen Akteuren. INGO ist die Abkürzung für International Nongovernmental Organization (im Gegensatz zu den IGOs, den International Governmental Organizations, auch im internationalen Kontext meist nur als NGO abgekürzt). Die Zahl der INGOs liegt um ein Vielfaches höher als die der IGOs. Doch verlässliche Zahlen fehlen, insbesondere weil nicht hinreichend zwischen nationalen und internationalen NGOs getrennt wird.
3900 NGOs haben einen Konsultativstatus bei dem United Nations Economic and Social Council (ECOSOC). Die UNO arbeitet mit über 31.000 NGOs zusammen (NGO Database csonet.org).
Allen voran verdienen Transparency International, Amnesty International und Human Rights Watch sowie Green Peace Erwähnung. Sie sind auch wegen ihrer Sachkompetenz anerkannt, so dass sie auch bei Verhandlungen über internationale Verträge beteiligt werden. Ihre Beteiligung ist in verschiedenen Völkerrechtskonventionen ausdrücklich vorgesehen, so in Art. 71 der UN-Charta. In den römischen Verhandlungen über den Internationalen Strafgerichtshof im Juli 1998 waren mehr als 400 »Repräsentanten der Zivilgesellschaft« zugelassen. Ihre Stellungnahmen folgten unmittelbar auf die der Staatsdelegationen und wurden – wohl zum ersten Mal – mit diesen zusammen vom Vorsitzenden resümiert.
Andere wie der Weltfußballverband (FIFA), das Internationale Olympische Komitee (IOC) oder die zentrale Vergabestelle für Internetadressen (ICANN) haben sich zu machtvollen wirtschaftlichen Akteuren gemausert und können dank ihrer primären Gemeinwohlverpflichtung wirkungsvoller noch als die Global Player der Wirtschaft die Normen für ihre Aktivitäten selbst bestimmen.
Die Grenzen verschwimmen. Viele NGOs sind tatsächlich QUANGOs (Quasi-Autonomous Non-governmental Organization), weil sie eine privatrechtliche Verfassung haben, aber mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, in Deutschland etwa die parteinahen Stiftungen. Manche INGOs sind mittlerweile in der Hand der Regierungen, etwa weil die für das Thema zuständige IGO dysfunktional ist. Ein Beispiel geben die WHO als IGO und der Weltärztebund (WMA, World Medical Association) als INGO. Da ist wiederum die Bundesärztekammer Mitglied, ein nicht eingetragener Verein, der aber öffentlich-rechtliche Körperschaften zusammenschließt. Die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), die die Zugangsadressen (Domainnamen) für das Internet verwaltet, ist zwar privatrechtlich organisiert, bezieht ihre Autorität aber aus Verträgen mit dem Handelsministerium der USA.
Alle diese Akteure sind damit befasst, übernational relevante Normen zu identifizieren oder selbst zu formulieren, sie anzuwenden, zu kritisieren, zu verbessern und zu ergänzen. Dazu bedienen sie sich professioneller Juristen, die untereinander kreuz und quer vernetzt sind. Große Aufmerksamkeit finden die etwa 100 weltweit tätigen Anwaltskanzleien. Darüber werden leicht die unzähligen Juristen vernachlässigt, die in staatlichen und internationalen Behörden und Organisationen sowie in der Forschung und der Juristenausbildung tätig sind. Unter der Gesamtheit von weltweit vermutlich etwa zwei Millionen Juristen befasst sich zwar nur eine Minderheit mit transnationalem Recht. Aber sie haben die transnationale Rechtsbildung zu ihrer Sache gemacht.
In der Theorie der Rechtsbildung nehmen die zurzeit mächtigsten internationalen Kommunikationsunternehmen, die unter dem Acronym GAFA zusammengefassten Google, Apple, Facebook (Meta) und Amazon keine prominente Rolle ein. Das mag daran liegen, dass sie sich in nicht-totalitären Staaten hoheitlicher und internationaler Regulierung in großem Maße entziehen konnten. Dass sie gegenüber staatlichem Zugriff nicht immun sind, zeigt ihre willfährige Unterwerfung unter die Zumutungen des chinesischen Staates.
III. Transnationales Recht als informelle Institutionalisierung des Völkerrechts
IV. Formale und informale Sanktionen
V. Internationale Regimes als Felder transnationalen Rechts
VI. Transnationales Recht als Netzwerk
VII. Transnationales Verwaltungsrecht
VIII. Global Governance
Literatur: Maria Behrens/Alexander Reichwein, Global Governance, in: Arthur Benz u. a., Hb Governance, 311-324; Dirk Messner / Franz Nuscheler, Das Konzept global governance, 2003; Margrit Seckelmann, Keine Alternative zur Staatlichkeit – Zum Konzept der »Global Governance«, VerwArch 98, 2007, 30-53; Georg Simonis, Global Governance, 2022 (Lehrbuch); Armin Stickler, Nichtregierungsorganisationen, soziale Bewegungen und Global Governance. Eine kritische Bestandsaufnahme, 2005; Michael Zürn, A Theory of Global Governance, 2018.
Zu Governance allgemein u. § 88 III.
Unter Global Governance verstehen viele die Vision einer globalen Kooperationskultur, die an die Stelle einer Weltregierung treten könnte, sozusagen eine dezentrale Weltordnungspolitik, insbesondere durch multilaterale Abkommen zwischen den Staaten und die Mitwirkung von internationalen Organisationen (IGOs und INGOs) und multinationalen Unternehmen. Unterstellt wird eine globale Interessenharmonie, die alle Global Player zum Mitmachen motiviert. Es bedarf nur oberflächlicher Beobachtung und geringer Fantasie, um dieses Konzept für blauäugig zu halten.
Global Governance ist sozusagen die Summe des hierarchiefreien transnationalen Rechts. Die Mehrzahl der Phänomene, die dazu herangezogen werden, würde man herkömmlich im Privatrecht verorten.