I. Formelle und informelle Autoritäten
Literatur: Heinz Hartmann, Funktionale Autorität, Systematische Abhandlung zu einem soziologischen Begriff 1964; Nils Jansen, The Making of Legal Authority. Non-Legislative Codifications in Historical and Comparative Perspective, 2010; Borris M. Komar, Text-Books as Authority in Anglo-American Law, 11 California Law Review 11, 1923, 397-422; Heiner Lück, Rechtsbücher als »private« Rechtsaufzeichnungen?, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 131, 2014, 418-433; Michael Sevel, The Constitution of Authority. Review Essay of Joseph Raz, Between Authority and Interpretation, 2009, SSRN 2014, 2456067; Lawrence B. Solum, LTL: Persuasive Authority.
Der Geltungsbegriff des modernen Rechts ist an der formellen Autorität der Parlamente und anderer Normquellen ausgerichtet. Dementsprechend sind die Rechtsquellen in Texte gefasst, die anhand förmlicher Kriterien (als Gesetzblätter oder Amtsblätter) zu identifizieren sind. Das schließt nicht aus, dass auch eine Reihe informeller Quellen über eine gewisse Autorität verfügt. In vormoderner Zeit verließ man sich für das Recht eher auf Autoritäten, die sich durch ihren Expertenstatus auszeichneten. Mit einem der Soziologie entlehnten Begriff könnte man von funktionaler Autorität reden. Jansen erinnert in diesem Zusammenhang an die lateinischen Begriffe potestas, die für förmliche Herrschaftsgewalt steht, und und auctoritas, die das hohe Ansehen von Ratschlägen und Argumenten einer Person meint. Solche auctoritas eignete den römischen Rechtstexten, wie sie im Kodex Justinians zusammengefasst worden waren. Sie waren über viele Jahrhunderte an vielen Orten als Rechtsquellen anerkannt.
Im deutschen Rechtskreis gab es eine Vielzahl von Land- und Stadtrechtsbüchern (Lück). Das prominenteste ist der Sachsenspiegel. Im anglo-amerikanischen Recht wird eine kleine Zahl von books of authority zu den Rechtsquellen gezählt. Es handelt sich um Zusammenstellungen der mittelalterlichen Rechtsprechung zum Common Law aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. Solche auctoritas besitzen nach Meinung von Jansen heute nichtlegislative Kodifikationen (u. § xxx) wie die Unidroit Principles oder die PECL (Principles of European Contract Law). Diese würden praktisch als Rechtsquellen anerkannt und sogar von Gesetzgebern in Bezug genommen. Die moderne Rechtsquellenlehre könne solche auctoritas, die nicht ohne weiteres Rechtsgeltung vermittle, aber auch nicht irrelevant sei, nicht begründen. Das veranlasst Jansen zu einer Kritik an der Rechtsquellenlehre und ihrem Geltungsbegriff. Diese Kritik stützt er durch den Hinweis, das Recht sei bis vor 150 Jahren mit den Begriffen usus und auctoritas ausgekommen, um das anzuwendende Recht aufzufinden.
Als Kritik an der monistisch-etatistischen Rechtsquellenlehre ist der Hinweis verfehlt, denn diese Rechtsquellenlehre ist nicht hermetisch geschlossen. Sie hat Einfallstore auch für funktionale Autorität. Das zeigt sich darin, dass sie auch Verwendung für Juristenrecht, Richterrecht und sogar für ausländisches Recht hat.