I. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Unionsrecht
Allgemeine Rechtsgrundsätze waren im EU-Primärrecht zunächst nur in (jetzt) Art. 340 II AEUV genannt. Danach soll sich die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nach den »allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind«, richten. Der EuGH hat diese Rechtsfigur auf der Grundlage des Art. 19 I EUV als allgemeines Instrument eingesetzt, um das lückenhafte Primärrecht der EG aufzufüllen. Eine der wichtigsten Entwicklungen hierbei ist die Anerkennung der Grundrechtsgeltung auf Unionsebene, die in Art. 6 III EUV ausdrücklich festgehalten ist. (»Die Grundrechte, wie sie … sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.«) Daneben ergaben sich auf dieser Grundlage insbesondere rechtsstaatliche Grundsätze für das Handeln der europäischen Verwaltungen. Der Weg über die Allgemeinen Rechtsgrundsätze dient (Gerichten) also dazu, Rechtsfiguren für die Lösung eines Falles heranzuziehen, die zwar an einer anderen Stelle einer (als Einheit gedachten) Rechtsordnung vorhanden sind, bei denen aber eine Analogie nicht möglich ist, weil es sich um unterschiedliche Gesetzgeber handelt (z. Ganzen Ehlers, in: ders./Pünder, AllgVwR, § 2/9 ff, 29f). Methodisch wird das Vorgehen als »wertende Rechtsvergleichung« ausgewiesen. Die Allgemeinen Rechtsgrundsätze im Unionsrecht bilden eine Rechtfertigung und ein Instrument der richterrechtlichen Fortentwicklung einer unvollständigen Rechtsordnung . Im deutschen (Verwaltungs-)Recht ist die Bedeutung der Allgemeinen Rechtsgrundsätze als eigenständige Rechtsfigur geringer, weil hier das Verfassungsrecht als normativer Ausgangspunkt zur Ausfüllung von Lücken zur Verfügung steht: Die im deutschen Verwaltungsrecht anerkannten Allgemeinen Rechtsgrundsätze lassen sich in der Regel auch als Konkretisierung verfassungsrechtlicher Prinzipien beschreiben (Ossenbühl, FS BVerwG, 2003, 289).
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