I. Der Begriff der Rechtsgeltung
Die Frage nach der Geltung des Rechts ist vielschichtig. »Rechtsgeltung« kann auf ein gesamtes Rechtssystem bezogen werden oder lediglich auf einzelne Rechtsnormen. Das gilt auch für die gleich zu behandelnde Thematik der faktischen oder ethischen Geltung. Die »Theorien der Rechtsgeltung« adressieren in der Regel das Recht an sich oder ein gesamtes Normensystem (u. § 54). Die Bedingungen, nach denen sich die Geltung einer einzelnen Rechtsnorm innerhalb eines geltenden Rechtssystems richtet, beschreibt die Rechtsquellenlehre (u. Kap. 8). Eine Verbindung zwischen den abstrakten Geltungstheorien und der konkreten Rechtsquellenlehre schafft der Stufenbau des Rechts (u. § 56).
Eigene Erklärungen bestehen für die Geltung des Unionsrechts bzw. des Völkerrechts als solchen. Davon zu trennen ist die Begründung ihrer jeweiligen innerstaatlichen Geltung. Die europäische Perspektive beschreibt diese innerstaatliche Geltung als Frage der Geltung eines Rechtssystems insgesamt – mit der Folge des Vorrangs des Unionsrechts. Die mitgliedstaatliche Perspektive misst dem Unionsrecht in der Regel eine abgeleitete Geltung zu, behandelt die Geltung des Unionsrechts also als Frage der Geltung einzelner Normen – mit der Folge, das so abgeleitete Recht an speziellen Vorbehalten der Verfassung messen zu können (u. § 57).